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Aussicht auf den Martelloturm
mit Paul Durcans Ulysses.
(Daddy, Daddy. The Blackstaff Press, Belfast, 1990, S. 99-102)
Ich bin oben auf dem Dach
Des Joyceturms in Sandycove
Verborgen vor meinem Vater.
Er steht unten
in der Düsternis der Gedenkstätte,
Beschönigungen austauschend mit dem Kurator,
dem Dichter Michael Hartnett,
atmosphärische Beschönigungen:
für den Juni zu kalt und nass.
Oben auf dem Turm habe ich Posten bezogen
Und unten tobt die Schlacht:
Ob er mir, dem Achtzehnjährigen,
Den Ulysses kauft oder nicht.
Es geht um Geld
Und noch mehr darum,
Ob es ein anständiges Buch ist,
Es geht um die Moral sozusagen.
Heute Morgen beim Frühstück fing es an,
Als ich nach einundzwanzig Shilling fragte,
Um mir den Ulysses zu kaufen.
Er lehnte das rundweg ab,
Allein schon, weil es viel zu viel Geld sei
Für einen schlecht bezahlten Richter;
Und vor allem sei es ein durch und durch unanständiges Buch.
Sogar die sehr liberal gesonnenen Jesuiten
Haben den Ulysses verurteilt
Als ein ebenso blasphemisches wie pornographisches Werk.
Meine Mutter fuhr vom Spülbecken auf:
„Lass ihm doch das elende Buch.
Dein Part ist es, endlich diesen Unsinn zu lassen,
Um Himmels willen!
Wird es irgendwann Frieden geben in diesem Haus?“
Mein Vater stürmte aus der Küche,
Das erzkatholische Blatt unterm Arm:
„Ich werde nicht seelenruhig zusehen,
Auch im Jahre des Herrn neunzehnhundertdreiundsechzig nicht,
Dass dieser blasphemische Schmierfink in diesem Haus
Von mir subventioniert wird.
Ich mache mich doch nicht zum Helfershelfer der Blasphemie.“
Ich erwische noch die Buslinie 46A zum Joyceturm,
Der vor Kurzem eröffnet wurde als Gedenkstätte.
Der Kurator bot mir an mit ihm eine Karaffe
Wodka zu teilen, die vom letzten Abend
Nach einer Soiree übriggeblieben war.
Am Tag nach dem Bloomsday,
Montag, der 17. Juni, 1963.
Wir saßen in berauschender Stille,
Besinnlich und seelenruhig,
Bis der Aufruhr der Kiesel
Die Schwärmerei jäh unterbrach.
Ich hetzte zur Tür und erblickte flüchtig
Meinen Vater unten an der Eisentreppe.
Ich kletterte auf das Dach, hoffte dort oben
Mich vor ihm zu verbergen im Nebel der See;
In der Bucht blökten die Nebelhörner.
Ich höre hinter mir Fußtritte und ich weiß, er ist es.
Er erklärt: „Ich denke, wir werden dieses Buch kaufen müssen.
Wie, sagtest du, war noch einmal der Titel?“
„Ulysses heißt das Buch“, sage ich zu ihm.
Ich folge ihm die Treppe hinunter
und er wendet sich an den Kurator:
„Mr. Hartnett, ich nehme an
Sie haben das Buch mit dem Titel Ulysses vorrätig.
Ich würde gerne eines davon erwerben.“
„Gewiß, Euer Hochwürden, gewiß“,
Erwiderte der äußerst höfliche Kurator mit trunkenen Augen,
Als er von seinem Ohrensessel aus
Hinter der Theke aus einer Schublade
Ein Exemplar des Ulysses entnahm,
Die Bodley Head Ausgabe in Jadegrün.
Mein Vater fragt ihn, ob er Packpapier habe,
Um diesen grün-satanischen Roman einzuwickeln,
Um ein Päckchen daraus zu machen.
Der Kurator starrt in den Papierkorb,
„Handgemacht aus der Blindenwerkstatt“,
Als starrt er in einen bodenlosen Fahrstuhlschacht,
Wirft einen krumm-verbindlich-fragenden Blick auf meinen Vater
Bevor er zerknüllte Tüten aus Packpapier hervorangelt
Für die Wodkaflaschen von der letzten Nacht.
Er breitet sie auf der Theke aus
Glättet sie, peinlich genau,
Um diensteifrig zu sein,
Besonders pedantisch, besonders penibel.
Förmlich übergab er das Päckchen meinem Vater
Als Lieferant eines ungreifbaren und eigensinnigen Machthabers,
Ein Friedensangebot, die bösen Geister zu bannen.
Betont sagt mein Vater: „Vielen Dank, Mr. Hartnett!“
Ausgesprochen salbungsvoll erwidert der Kurator:
„Höchst erfreut, Ihnen zu Diensten zu sein, Hochwürden.“
Mein Vater verließ mit dem Buch den Joyceturm.
Als ich am nächsten Tag meine Mutter fragte,
Ob sie es denn gesehen habe, sagte sie
Es sei im Schlafzimmer auf der Seite meines Vaters
Ihr Bett war auf der Fensterseite und sein Bett
Zwischen ihrem und der Wand.
Dort lag es, auf seinem Nachttisch,
Ulysses,
Mit einem Lesezeichen – einem Kaugummipapier –
Noch ziemlich am Anfang.
Als ich ein paar Wochen später
Selber den Ulysses las
Fand ich ihn genauso befremdlich wie meinen Vater
Und genauso unverständlich für mein Gehör.
Es war fast vier Jahre später
Als mir ein Musikfreund
Mich mit ihm vertraut machte,
So dass der Ulysses für mich zu singen begann
Und ich begann zu singen für meinen Vater:
Daddy, Daddy,
Du kleiner Mann, ich liebe dich über alles.